Anmerkung zum Urteil des BGH vom 05.04.2016 (Az. II ZR 268/14) – erschienen in: jurisPraxisReport Bank- und Kapitalmarktrecht, Ausgabe 3/2017, Anm. 2

Leitsätze

1. Ein Unternehmen erfüllt seine Mitteilungspflicht nach § 20 Abs. 1, 4 AktG nur dann ordnungsgemäß mit der Folge, dass § 20 Abs. 7 AktG die Ausübung der Rechte aus den Aktien nicht ausschließt, wenn die Gesellschaft nicht korrigierend eingreifen muss, vielmehr die Beteiligung und deren Inhaber, wie sie ihr mitgeteilt worden sind, bekannt machen kann, ohne dass in der Öffentlichkeit Zweifel entstehen, welche Art Beteiligung gemeint und wem sie zuzurechnen ist (Bestätigung von BGH, Urt. v. 22.04.1991 – II ZR 231/90 – BGHZ 114, 203).
2. Aus dem auf die Publikation nach § 20 Abs. 6 AktG ausgerichteten Zweck der Mitteilungspflichten nach § 20 AktG ergibt sich, dass die schriftliche Mitteilung nach Form und Inhalt darauf ausgerichtet sein muss, von dem Vorstand der Aktiengesellschaft als Mitteilung i.S.v. § 20 AktG erfasst zu werden.
3. Eine bereits vor dem Erwerb der Beteiligung erfolgte Mitteilung ist zur Erfüllung der Mitteilungspflicht grundsätzlich nicht geeignet.

 

A. Problemstellung
Sobald einem Unternehmen mehr als 25% oder 50% der Aktien einer Aktiengesellschaft mit Sitz im Inland gehören, hat es dies der Gesellschaft unverzüglich schriftlich mitzuteilen (vgl. § 20 Abs. 1 und Abs. 4 AktG). Rechte aus Aktien, die einem hiernach mitteilungspflichtigen Unternehmen gehören, bestehen für die Zeit, für die das Unternehmen die Mitteilungspflicht nicht erfüllt, (grundsätzlich) weder für das Unternehmen noch für ein von ihm abhängiges Unternehmen oder für einen anderen, der für Rechnung des Unternehmens oder eines von diesem abhängigen Unternehmens handelt (vgl. § 20 Abs. 7 Satz 1 AktG). Die Folgen einer Missachtung dieser aktienrechtlichen Meldepflicht sind existenziell. Stimmrechte können entfallen, Dividenden können zurückgefordert werden.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Revision des BGH lag die Klage einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft gegen eine inländische Bank in der Rechtsform einer AG & Co. KG zugrunde. Die Klägerin verlangte wegen Missachtung der ordnungsgemäßen und rechtzeitigen Erfüllung der Meldepflichten gemäß § 20 AktG Rückzahlung von Dividenden gemäß den §§ 62 Abs. 1 i.V.m. 20 Abs. 7 AktG.
Die Beklagte erwarb gegen Ende des Jahres 2002 sämtliche Aktien der Klägerin. Der Verkauf der Aktien bedurfte nach der Satzung der Klägerin der Zustimmung der Hauptversammlung; in diesem Zusammenhang wurde der Klägerin Mitte Dezember 2002 ein unterschriebener Kaufvertrag oder ein Kaufvertragsentwurf übersandt, in dem u.a. auf die alleinige Aktionärsstellung der vormaligen Aktionärin, auf den Verkauf und die Übertragung mit Wirkung zum 31.12.2002 sowie darauf hingewiesen wurde, dass die Hauptversammlung satzungsgemäß die Zustimmung zur Übertragung der Aktien an die Beklagte beschlossen hat. Fast drei Jahre später, nämlich am 07.10.2005, teilte die Beklagte dem Vorstand der Klägerin unter Hinweis auf § 20 Abs. 4 AktG mit, dass ihr unmittelbar eine Mehrheitsbeteiligung an der Klägerin gehöre. Am 25.11.2005 erstattete eine die Beklagte beherrschende Gesellschaft aus dem Ausland der Klägerin eine weitere Mitteilung, dass ihr mittelbar eine Mehrheitsbeteiligung an der Beklagten – vermittelt über eine dreistöckige Beteiligung (die ihr gemäß § 16 Abs. 4 AktG zuzurechnen sei) – gehöre.
Die Klägerin machte im Revisionsverfahren insbesondere Ansprüche auf Dividendenrückzahlung in Höhe von mehr als vier Mio. Euro geltend und begründete dies mit dem Unterbleiben der aktienrechtlichen Mitteilungen der unmittelbar und mittelbar beteiligten neuen Aktionäre.
Der BGH folgte im Wesentlichen der Auffassung der Klägerin und verwies die Sache an das Berufungsgericht zurück.
Das Berufungsgericht habe noch angenommen, die eigene Mitteilungspflicht der Beklagten sei durch Übersendung des Vertrags(entwurfs) erfüllt worden und, soweit die Mitteilungspflichten der mittelbar Beteiligten nicht (vollständig) erfolgt seien, entfalle das Dividendenbezugsrecht wegen Gutgläubigkeit der mittelbar Beteiligten (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AktG).
Der BGH bestätigte zunächst nochmals, dass die Rückforderung von Dividenden wegen Verletzung aktienrechtlicher Mitteilungspflichten ausschließlich auf § 62 AktG beruhe und § 812 BGB (Anm.: mit seinen Privilegierungen u.a. gemäß § 818 Abs. 3 BGB) als Spezialgesetz verdränge. Der BGH nutzte jedoch die Gelegenheit, die Mindestanforderungen an Inhalt und Form der Mittelungspflichten des § 20 AktG zu konturieren.
Die bloße Übersendung eines Vertrags oder eines Vertragsentwurfs sei in keinem Fall ausreichend, wobei der BGH mangels Feststellung des Berufungsgerichts ausdrücklich offengelassen hat, ob die Mitteilungspflichten etwa durch ein Begleitschreiben hätten erfüllt werden können.
Unter Hinweis auf Sinn und Zweck der §§ 20 ff. AktG, Aktionäre, Gläubiger und Öffentlichkeit über bestehende oder entstehende Konzernbildungen zu informieren und zugleich Rechtssicherheit über die Beteiligungsquoten zu schaffen, stellt der BGH klar, dass ein (neuer) Gesellschafter seiner Mitteilungspflicht nur genügt, wenn die Gesellschaft nicht korrigierend eingreifen muss, vielmehr die Beteiligung und deren Inhaber, wie sie mitgeteilt worden sind, nach § 20 Abs. 6 AktG in den Gesellschaftsblättern bekannt machen kann, ohne dass in der Öffentlichkeit Zweifel entstehen, welche Art Beteiligung gemeint ist und wem sie zuzurechnen ist (Besprechungsurteil Rn. 17 m.w.N.). Aus § 20 Abs. 6 AktG folgert der BGH weiter, dass die Meldung außerdem den Mitteilungstatbestand (also den betreffenden Absatz des § 20 AktG) erkennen lassen müsse.
Die Zusendung des Vertrags bzw. seines Entwurfs sei auch deshalb nicht ausreichend gewesen, weil die Vertragsurkunde selbst keine Mitteilung der Beklagten an die Klägerin ausweise und die Zusendung der Vertragsurkunde vor der Übertragung der Aktien per 31.12.2002 erfolgt sei und damit im Widerspruch zur umgekehrt geregelten zeitlichen Abfolge des § 20 Abs. 4 AktG stehe (zuerst Aktienübertragung, danach Mitteilung).
Schließlich scheitere der Dividendenrückzahlungsanspruch auch nicht an der Gutgläubigkeit der Beklagten. Zwar setze der Rückzahlungsanspruch voraus, dass die Beklagte beim Bezug der Gewinnanteile wusste oder infolge von Fahrlässigkeit nicht wusste, dass sie zum Bezug nicht berechtigt war (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AktG). Die Beklagte sei jedoch selbst zur Prüfung verpflichtet, ob sie – und zwar abhängig von der Erfüllung der ihr obliegenden Mitteilungspflichten – zum Dividendenbezug berechtigt sei.
Auch die Ausnahme des § 20 Abs. 7 Satz 2 AktG sei, so der BGH weiter, nicht einschlägig, wonach u.a. der Anspruch auf Dividendenzahlung (§ 58 Abs. 4 AktG) entfalle, wenn die Mitteilung nicht vorsätzlich unterlassen wurde und nachgeholt worden ist. Fehlender Vorsatz sei hier indessen nicht feststellbar. Die Darlegungs- und Beweislast liege im Übrigen beim mitteilungspflichtigen Unternehmen, wobei zu berücksichtigen sei, dass auch bedingter Vorsatz genüge. Zu berücksichtigen sei außerdem, dass die Mitteilung unverzüglich nachgeholt werden müsse (Rn. 38 m.w.N.).
In seinen „Segelanweisungen‘“ für das weitere Verfahren wies der BGH insbesondere auf Folgendes hin:
a) Auch die Verletzung von Mitteilungspflichten der an der Beklagten mittelbar Beteiligten sei zu prüfen, denn auch insoweit entfielen die Rechte der unmittelbaren Aktionärin. Hier sei die mangelnde Erfüllung der Mitteilungspflichten der mittelbar Beteiligten von der Klägerin als anspruchsbegründende Voraussetzung darzulegen und zu beweisen.
b) Das für die Geltendmachung des Dividendenrückzahlungsanspruchs erforderliche Verschulden der Beklagten sei unter einem anderen Blickwinkel zu prüfen. Die vom Berufungsgericht angenommene Mitwirkungspflicht der Klägerin gegenüber der Beklagten sei nicht tragfähig, weil mögliche Versäumnisse der Klägerin, die im Verhältnis zur Beklagten für die Erfüllung von deren (eigener) Mitteilungspflicht nicht verantwortlich sei, nicht geeignet seien, das Verschulden der Beklagten auszuschließen.
c) Das Berufungsgericht habe ggf. zu erwägen, ob die Beklagte nicht ihrerseits (ggf. nach Feststellung über fehlende oder unzureichende Bekanntmachungen der Gesellschaft gemäß § 20 Abs. 6 AktG) besonderen Erkundigungspflichten unterliege. Andernfalls entstehe ein Wertungswiderspruch, wenn das Gesetz die Verletzung von Mitteilungspflichten durch ein mittelbar beteiligtes, beherrschendes Unternehmen sanktioniere, indem der Dividendenanspruch des unmittelbaren Aktionärs grundsätzlich entfalle, das beherrschende Unternehmen diesem Rechtsverlust aber die eigene Gutgläubigkeit entgegenhalten könne mit der Folge, dass auch dem beherrschenden Unternehmen die mittelbaren Vorteile aus dem dann fortbestehenden Dividendenbezugsrecht erhalten blieben.
C. Kontext der Entscheidung
Die aktienrechtlichen Mitteilungspflichten bei Erwerb (oder Verlust) von Mehrheits- und Schachtelbeteiligungen gemäß den §§ 20 ff. AktG an nicht börsennotierten Gesellschaften sind im Gegensatz zum – insoweit vorrangigen (vgl. § 20 Abs. 8 AktG) – Regelungsregime für börsennotierte Gesellschaften in den §§ 21 ff. WpHG (i.V.m.den §§ 17 ff. Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung – WpAIV und dem gesetzlichen Mustermeldeformular) noch vergleichsweise wenig ausdifferenziert geregelt.
Die meldepflichtigen Aktionäre und deren beherrschende Auslandsmütter haben jedoch Mindestanforderungen zu beachten, die der BGH nun nochmals klar herausgearbeitet hat. Das Urteil des BGH wird man kurz so zusammenfassen können, dass es nicht Aufgabe des Vorstandes der Gesellschaft sein kann, eigenständig aus beliebigen Dokumenten eine etwa bestehende aktienrechtliche Mitteilungspflicht herauszulesen und diese so aufzuarbeiten, dass die Gesellschaft selbst ihrer nachgelagerten Melde- und Veröffentlichungspflicht des Beteiligungserwerbs (oder -verlusts) in den Gesellschaftsblättern gemäß § 20 Abs. 6 AktG nachkommen kann. In dem vom BGH zu entscheidenden Fall schien noch nicht einmal klar gewesen zu sein, wer der Gesellschaft den Vertrag bzw. Vertragsentwurf zugesendet hatte. Für die Gesellschaft war damit auch nicht klar, wer hier für wen handelte, welche Art der Beteiligung gemeint war und wem sie zuzurechnen ist.
D. Auswirkungen für die Praxis
Überschreiten oder unterschreiten in- oder ausländische Gesellschafter Beteiligungsschwellen von 25% oder 50% an inländischen Aktiengesellschaften, werden aktienrechtliche Meldepflichten ausgelöst (vgl. § 20 AktG). Gleiches gilt sinngemäß für den Beteiligungserwerb oder -verlust an anderen Kapitalgesellschaften (vgl. § 21 AktG).
Inhaltlich und formal ist bei Erstattung der Meldungen insbesondere zu beachten:
a) Die Mitteilung sollte in ihrer Überschrift einen Hinweis auf die Mitteilung nach AktG enthalten.
b) Hierbei ist der genaue Tatbestand zu nennen, dem die Meldung zugrunde liegt.
c) Meldepflichtig ist/sind neben dem unmittelbar beteiligten Aktionär (§ 20 Abs. 1 Satz 1 AktG) ggf. auch die diesen beherrschende(n) Gesellschaft(en), vgl. die §§ 20 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. 16 Abs. 4 AktG. Versäumt nur eines dieser Unternehmen die Mitteilung, führt dies zur Sippenhaft: Die Sanktionswirkung des § 20 Abs. 7 AktG greift auf Ebene des unmittelbaren Aktionärs und insbesondere der Dividendenanspruch entfällt.
d) Der Rechtsverlust wird meist nicht durch das grundsätzlich mögliche Nachholen der Meldung vermieden werden können; die Anforderungen des BGH an die Darlegung und den Beweis, dass die Meldung nicht (bedingt) vorsätzlich unterlassen wurde, sind hoch.
Angesichts der dramatischen Rechtsfolgen sind neben den Unternehmen der Realwirtschaft insbesondere auch in- und ausländische Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute (aber auch Versicherungsunternehmen sowie Pensionsfonds), die eine Beteiligung an einem inländischen Kreditinstitut erwerben oder aufgeben, gut beraten, neben den aufsichtsrechtlich zu erstattenden, hochkomplexen aktivischen und passivischen Veränderungsmitteilungen (vgl. nur § 2c KWG in Verbindung mit der Inhaberkontrollverordnung, § 24 KWG) insbesondere die ökonomisch weitreichendsten Meldepflichten der §§ 20 ff. AktG nicht aus den Augen zu verlieren.
Aus notarieller Sicht dürfte es sich empfehlen, in relevanten Fällen vorsorglich einen Hinweis zum möglichen Bestehen aktienrechtlicher Mitteilungspflichten in die Urkunde aufzunehmen. Das gilt nicht nur bei der Beurkundung von Geschäftsanteilsübertragungen, sondern auch bei Einziehungen, stimmrechtsrelevanten Satzungsänderungen und nicht zuletzt auch bei Kapitalerhöhungen oder -herabsetzungen.